Gefördert mit einem Stipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW.
Dies ist ein Bild, das daran erinnern soll, dass es innerhalb unserer Gesellschaft Strukturen gibt, die nicht lebens- und menschlichkeitsförderlich sind, sondern in denen Profit und Effektivität wichtiger ist. Durch unsere kapitalistisch geprägte Kultur wird der Mensch oft zum Objekt gemacht. Es gehört noch zum Alltag, dass die Unterdrückung unserer Instinkte und Bedürfnisse ein gesellschaftlicher Normzustand sind (z.B. das Unterdrücken unseres Schlaf und Ruhebedürfnis oder der Bewegungsdrang, der bereits Schulkindern abtrainiert wird). In diesem Bild ist die Wut und Ohnmacht dargestellt, die neben anderen Symptomen entstehen kann, wenn die evolutionären Urinstinkte des Menschen zugunsten von Leistung und Gewinn missachtet werden.
Diese nenne ich „die Urwut“, die aus unserem Säugetier Instinkt heraus entsteht. Sie jagt unsere Lebenskraft durch unser Körpersystem, wenn fundamentale Bedürfnisse nach Schutz, Entwicklung und Leben angegriffen und/oder unterbunden werden. Die Harpyien-Frau steht in meinem Bild für (weibliche) Urwut. Sie ist gekommen um einen Zustand zu beenden. Sie reißt die lebensfeindlichen Strukturen ein um eine gesunde Förderung des Lebens zu ermöglichen. Dieses Bild war der Start für ein vom MKW NRW gefördertes Stipendium zum Projekt mit dem Titel: Die heilige Wut – weibliche Perspektiven und die konstruktive Integration der Wut. In dem Projekt beschäftige ich mich mit der Umwandlung von belastenden Emotionen (z.B. Wut und Frustration), die Frauen in ihrem Leben sammeln und wie sie diese selbst wahrnehmen. Durch eine kreative Art der Annahme und Verarbeitung der Emotion kann Heilung beginnen und wir erkennen welcher Missstand unsere Wut ausgelöst hat. Wir fühlen uns nicht mehr der Emotion ausgeliefert und erfahren Eigenermächtigung. Durch diese Bewusstseinserweiterung entdecken wir die Kapazität zur Veränderung des eigenen Lebens und/oder unseres Umfeldes. Das Projekt bietet ein kunst-kulturelles Feld. Ziel ist es, in diesem Feld das weibliche Wut-Empfinden einzelner Frauen zu beleuchten und für Dritte primär durch Malerei sichtbar zu machen. Sinn meiner Arbeit ist eine öffentliche Bewusstwerdung, ein Diskurs und eine wertschätzende Annahme der weiblichen Wut. Gerade Frauen werden immer noch von Klein an gesellschaftlich zur immerwährenden Sanftheit und Liebenswürdigkeit erzogen und geprägt. Wir verlieren den Zugang zu unserer evolutionär wichtigen Urkraft: unsere Wut, die genau wie Angst eine wichtige Aufgabe in unserem Körpersystem und für unsere gesamtevolutionäre Entwicklung leistet. Es ist sehr wichtig, diese Emotionen anzunehmen, konstruktiv zu durchleben und zu nutzen. Deshalb habe ich das Werk „von der Taube zur Harpyie“ in dieser Größe und Eindringlichkeit geschaffen.
Als „heilige Wut“ definiere ich eine Wut, bei der es nicht um Selbstbehauptung oder Selbstschutz geht geht, sondern um den Schutz anderer Menschen, anderer Spezies oder der Umwelt. Sie kann ein Generator für höhere Ziele sein. Sie gibt Lebenskraft und Willensstärke und kann so zu langfristigen Veränderungen führen.
Portraitserie – Frauen und ihre Wut Erzählungen
„Werden fundamentale Werte von mir verletzt (…), werde ich nicht laut, sondern scharf und schneidend.“
„Die letzte Situation, in der ich so wirklich wütend geworden bin war folgende: ich habe einem alten Schulfreund schwierige Aspekte aus meiner Geschichte erzählt. Im Verlauf des Kontaktes habe ich dann gemerkt, dass er irgendwann in mir nur noch ein weibliches Opfer gesehen hat, das einen „kümmere dich um mich Auftrag“ an ihn ran trägt, dem er nicht gewachsen ist. Diese Stereotype Mann – Frau- Rollenzuschreibung hat ihn in Folge davon abgehalten überhaupt empathisch reagieren zu können. Ich hatte den Eindruck, dass sich in seinen Augen vor mein Gesicht eine Opfer Maske schiebt, hinter der all meine anderen Facetten vollkommen unkenntlich werden. Diese Wahrnehmung von nicht – gesehen – werden hat in mir viel Wut ausgelöst. Es war mir danach ein großes Bedürfnis, diese Wahrnehmung öffentlich zu formulieren, denn sie ist ein fruchtbarer und unfruchtbarer Umgang mit Gewaltopfern. In dem Fall war eine persönliche Wahrnehmung Impulsgeber für das aufmerksam werden auf einen generellen gesellschaftlichen Missstand.“
„Mein Umgang mit Wut hängt von ihrer Dimension und der Beziehung zu demjenigen ab, der diese Wut ausgelöst hat. Werden häufig fundamentale Werte von mir verletzt, hört irgendwann mein Impuls auf, die Beziehung erhalten zu wollen. Dann werde ich nicht laut, sondern scharf und schneidend. Mich erinnert das manchmal an die Qualität des Schwertes der biblischen Judith, die den Tyrannen enthauptete – also endgültige Tatsachen schaffen, wenn ein existenzieller Punkt überschritten ist. Kleinere Wut winke ich häufig mit meiner generellen rheinländischen Friedlichkeit durch. Insgesamt ist meine Wut eher langanhaltend und konsequent als kurz, überschäumend und eruptiv. Interessanterweise ist das auch eine Kraft, die ich durchaus mit der Führungsstärke in Verbindung bringen kann, die ich schonmal habe. Dabei kann ich mich mit Figuren wie Johanna von Orleans ebenso identifizieren, wie mit meiner biblischen Namensvetterin.“
Judith de Gavarelli, 2021